Wir senden „Odysseus“ zum Mond – und er seine Botschaft an uns.

Von Carsten Heintzsch

Wann hat man eigentlich zuletzt zum Mond hochgeschaut? Und was hat man gedacht? Ob er wirklich so ein Gesicht hat, wie man seit Kindertagen in ihm sieht? Ob man die Spuren von Neil Armstrong & Co, die Spuren der ersten Menschen auf dem Mond, mit einem richtig guten Fernglas erkennen könnte? Ob er manchmal an uns denkt? An uns Menschen. An uns Erde. Schließlich schaut er seit über 900 Millionen Jahren auf uns herab. Freundlich. Irgendwie. Ob er uns vermisst? 12 Menschen waren auf ihm drauf. Drei Pioniere und dann nochmal neun danach. Zwölf Menschen von sechs Milliarden. Wir alle sollen sicher nicht kommen. Aber eventuell ein paar Hunderttausend.

Der Mond. Fast eine Milliarde Jahre sieht er uns nun zu. Schaut auf uns.

Jeden Tag. Und auch gestern Abend. Und wundert sich. Ganz besonders vor vier Tagen. Als »Odysseus« auf ihm landete. Die patente Sonde der NASA und verschiedenen Privatfirmen. Sie kippte etwas zur Seite, die wackere 700 Millionen Dollar teure Sonde mit schier unendlichen Funktionen. Aber so, dass alles heil blieb und alles so in die Sonne und in die Welt zeigte, dass »Odysseus« seinen Haupt-Job machen konnte: alles aufnehmen, speichern, fotografieren und analysieren, sodass die eine wesentliche Antwort gegeben werden kann. Denn »Odysseus« ist ein Scout, wie die Scouts, die bei der Besiedelung des Wilden Westens Tage vor den Trecks vorangeritten sind, um urbare Prärien auszukundschaften, ist auch er hier oben auf Mission, hat nur die eine zentrale Aufgabe: Wasser finden! Der Mond soll Wasser-Vorkommen haben, die unsere Vorstellungskraft überschreiten und uns bis in die Ewigkeit retten könnten. In seinem Inneren. Da, wo wir, die Erde, Lava und Feuer haben, hat der Mond Wasser. Man ist sich zu 99,9 % sicher. Das letzte 0,1 Prozent soll der wackere »Odysseus« klären. Und am Rande noch so einiges mehr. Reckt er den Daumen nach oben, signalisiert er „Yes Water!“, werden in zwei Jahren, 2026, Menschen auf dem Mond landen und nach Wasser bohren.

Und finden sie welches, ist das der erste Schritt für ein Leben auf dem Mond. Für uns alle.

In der Zwischenzeit können der Mond und »Odysseus« Freunde werden und wir hier unten über einiges nachdenken. Über einiges Wichtiges.

Der Mond braucht uns nicht. Aber wir ihn. Sehr sogar. © Credit: 2012 by Phillip Seeber is licensed under CC BY 4.0

Zuerst aber ein kleiner Blick nach unten, auf uns, die Erde, auf Houston. Im Jahr 2017 gründete die US-Regierung eine Spezialabteilung namens »Space Policy Directive 1« und mit ihr die Absicht, NASA-Astronauten zum Mond zurückzubringen. Im trockenen Wortlaut der Regierung und der NASA sah die Weltsensation so aus: „Wir wollen ein innovatives und nachhaltiges Explorationsprogramm mit kommerziellen und internationalen Partnern anführen, um die menschliche Expansion im Sonnensystem zu ermöglichen und neues Wissen und neue Möglichkeiten zur Erde zu bringen. Beginnend mit Missionen jenseits der erdnahen Umlaufbahn werden die Vereinigten Staaten die Rückkehr von Menschen zum Mond zur langfristigen Erforschung und Nutzung anführen, gefolgt von bemannten Missionen zum Mars und anderen Zielen.“

„Odysseus“ in seiner Garage in Houston, 2 Tage vor dem Start. © Credit: Nick Rios

Dabei war von Anfang an klar, dass die NASA private Unternehmen in das Vorhaben einbeziehen würde. 2018 forderte sie Angebote von neun Unternehmen ein. Darunter Intuitive Machines. Für das NASA-Artemis-Programm zur Errichtung einer dauerhaften bemannten Basis auf dem Mond. Intuitive Machines bekam den Zuschlag und wurde 2019 für die Lieferung von wissenschaftlichen Nutzlasten zum Mond beauftragt. Der Vertrag, um Mondlandungen für die NASA durchzuführen, belief sich auf einen Umfang von 118 Millionen US-Dollar.

Intuitive Machines kleines Wunder hörte auf den Namen Nova-C, eine Klasse von Mondlandern, die kleine Nutzlasten auf die Oberfläche des Mondes bringen kann.

Der Mondlander »Odysseus« schoss am 15. Februar 2024 – ausgestattet mit einer SpaceX Falcon 9 Rakete – von Cape Canaveral ins All. Nach vorbildlichem Start erreichte »Odysseus« am 21. Februar den Mondorbit und landete am 22. Februar auf der Mondoberfläche. Die erste US-Mondlandung seit 1972!

Im Anflug auf den Mond: Nasa-Held „Odysseus“ erfüllt seine Mission. © Credit: dpa

Schon auf dem Weg zum Mond begann die telefonzellengroße Sonde fleißig damit, Tausende von Fotos zu schießen und Messwerte und Gase aus der Atmosphäre aufzunehmen. Bei der Landung auf dem Südpol des Mondes verfehlte »Odysseus« sein Ziel um unerhebliche 1,5 Kilometer, verhedderte sich aber mit seinen Landefüßen im Mondboden und kippte zur Seite. Aber auch hier, in diesem kleinen Missgeschick, zeigte sich wieder, dass die Mond-Mission der NASA und Intuitive Machines unter einem guten Stern steht: »Odysseus« kippte so, dass alle Solarzellen nach oben zeigten. Und auch alle Messinstrumente und Foto-Objektive!

Die Arbeit konnte beginnen.

Seitdem liefert der kleine Mondbesucher fleißig Bilder und füttert die NASA-Computer unablässig mit neuen Daten. Und wir schauen von Houston und Texas wieder hoch nach oben und denken uns eins. Wenn »Odysseus« für die Wassersuche durch Menschen da oben grünes Licht gibt, werden uns Unternehmen wie Intuitive Machines auch mal nach da oben schicken? Auf den Mond? Dort schwerelos herumhüpfen? Urlaub von der Erde machen?

Oder dort leben? In einem Haus auf dem Mond. In einem Airspace. In einer Mondstadt. Mit einem neuen Anfang. Mit einem neuen Beginn. Schlau geworden aus den Fehlern auf der Erde. Mit unserer ganzen Familie. Neuen Aufgaben und neuen Perspektiven. Der Mond in einer neuen Bedeutung.

Der Mond als unser neues Zuhause. Als weiteres, ergänzendes zu Hause.

Schaut man ihn sich so an, ist das trotz Landung von Raumsonden und bevorstehendem Anbohren von Wasser, ein Anblick wie immer. Und auch die Gedanken sind dieselben.

Man denkt: Da oben auf dem Mond gibt es all den Mist, den es hier auf der Erde gibt, nicht. Keine Autostaus, keine Kriege, keine Umweltverschmutzung, kein Donald Trump. Auch keine Massentierhaltung oder Überfischung, kein Abschlachten von Walen und keine häusliche Gewalt.

Der Mond. Der „Urlaub von unserem Planeten-Planet.“ Könnte die Headline für den Space Shuttle-Reiseprospekt lauten. Man reibt sich kurz den Nacken und schaut wieder nach unten, schaut sich um und hört eine Nachtigall singen in dieser klaren Nacht. Und sieht ein Paar, das sich neben einem küsst. Und beide, Nachtigall und Paar, bringen einen ins Nachdenken, während man wieder den Mond anstarrt.

Küssen draußen unterm Sternenhimmel ginge ja nicht, da oben in der sauerstofflosen Mondluft, mit den Beatmungsgeräten auf dem Kopf. Und Nachtigallen würden auch nicht singen. Auch keine Amseln. Nix. Gar kein Tier wäre da oben. Keine süßen Hasen, nicht unsere geliebten Hunde und Katzen. Auch ein Tag am Strand wäre nicht möglich oder ein Spaziergang durch den Wald. Coldplay Open Air mit 80.000 anderen Fans auch nicht. Cabrio fahren? Keine Chance. Und abends mit ein paar Freunden auf der Terrasse sitzen erst recht nicht. Und plötzlich dreht sich was. Und der Mond macht das mit einem. Will das vielleicht sogar. Sendet uns seine eigentliche Botschaft: Ich wäre gerne da unten bei Euch. Ihr habt so viele wunderbare Sachen da unten. Eure Erde steckt voll unglaublicher Wunder, ist ein Meisterwerk des Universums. Ein Meisterwerk vom Schöpfer. Ich, der Mond, wüsste gar nicht, was ich zuerst machen sollte. Mit einem Boot auf dem Mittelmeer fahren, mit einem schönen Mädchen ins Kino gehen, am Strand übernachten, Korn ernten, für Freunde kochen, Kinder bekommen, sich an der Uni fortbilden, sich verlieben, für andere da sein. Und, und, und.

Blaues Planeten-Wunder Erde. Das Universum beneidet uns! © Credit: 2024 by Nasa is licensed under CC BY 4.0

Der Planet der Möglichkeiten. Und man dem, was der Mond uns zu sagen hat, zu, nickt man plötzlich. Erst langsam, dann heftiger. Und begreift: Vielleicht bringt er uns eines Tages Wasser, vielleicht findet »Odysseus« auch noch ganz andere Wunder über ihn heraus. Aber jetzt im Moment, liefert der Mond, wie in all den Millionen Jahren und ganz besonders in den paar Tausend, in denen es uns gibt, seine Botschaft: Seid glücklich da unten, nutzt jeden einzelnen Tag. Nutzt Eure Möglichkeiten. Geht gut mit Euch um. Und schöpft aus dem großen Reservoir Erde. Aus dem großen Reservoir Mensch.

Für das Beste in Euch.

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