Entdecke die Welt von VIOLAS ROOM, ihrer neuesten Show in einem Labyrinth der Sinne.
Im Jahr 2007 erlebte ich in London ein Theatererlebnis, das mich an Alice in Wunderland erinnerte, also sie in ein Kaninchenloch fällt und in einer völlig anderen Welt landet. Doch statt in Alices Wunderland befand ich mich in der faszinierenden Welt des immersiven Theaters von Punchdrunk, genauer gesagt in einer Inszenierung von Edgar Allan Poes „Die Maske des roten Todes“. Es war eine so bahnbrechende Erfahrung, dass ich fortan allen meinen Freunden davon erzählen musste – etwas, das man einfach erleben musste.
Also erzähle ich euch jetzt von meiner Erfahrung und dieser Reise ins Ungewisse. Wir nahmen ein Taxi nach Südlondon und fanden uns vor einem riesigen, verlassenen Gebäude wieder. Alleine die schiere Größe des dunklen Gemäuers strahlte eine gespenstische Atmosphäre aus.
Nach einer kurzen Einführung beim Betreten (Anweisungen: kein Sprechen, keine Handys und die Masken zu jederzeit tragen) erhielt ich einen langen Samtumhang und eine venezianische Maske und machte mich auf den Weg, das Gebäude zu erkunden. Schnell verlor ich den Anschluss an meine Freunde, mit denen ich gekommen war und wurde in die Tiefen dieses riesigen Herrenhauses mit fast 50 Räumen gezogen. Die Räume reichten von winzigen Schuhkartons auf dem Dachboden bis hin zu gruseligen, feuchten Kellerräumen, Treppen, Korridoren und großen Sälen. Jeder Raum entfaltete sich wie ein Kapitel, voller Details und scheinbar voller Geheimnisse.
Alle Besucher trugen lange schwarze Umhänge und ihre Gesichter waren durch die Masken verdeckt. Sie schlichen langsam und stumm umher zur gequälten Melodie einer Geige. Die Masken gaben dem Publikum einerseits die Anonymität, um ungestört zu beobachten, andererseits aber schufen sie auch eine gewisse Unruhe. Die Luft knisterte vor Spannung. Die Schönheit des Ganzen, das berauschende Verschwimmen der Grenzen zwischen Realität und Inszenierung, ließ mich gleichzeitig aufgeregt, ängstlich und manchmal auch innerlich grinsen.
Schauspieler wanderten durch die Räume und spielten skriptlose und stille Szenen aus Poes Geschichten, die nur schwer zu entziffern waren. Kein Zutritt war verboten, überall durfte und sollte man entdecken, erfühlen und beobachten. Manche Räume blieben leer, während andere hektisch und voll, wo Schauspieler in Interaktion waren. Die zentrale Marmortreppe war das Epizentrum der meisten dieser unterschiedlichen Darbietungen. Um sie herum befanden sich eine Apotheke, eine Opiumhöhle, ein Puppenmacheratelier, große Speisesäle und verwüstete Schlafzimmer, die alle akribisch im Stil einer alten, längst verschwundenen Welt präsentiert wurden. Es erinnerte wie an ein Filmset von Peter Greenaway oder David Lynch vor 200 Jahren.
Während ich weiter umherstreifte, konnte ich mir nur ausmalen, wie viel Geld und Zeit es gekostet haben musste, diese Welt zu erschaffen (Punchdrunk arbeitet unter anderem mit Architekten zusammen).
Die „Aufführung“ selbst war schwer zu beschreiben, da es keinen linearen Erzählstrang gab. Leere Korridore, nur von Kerzen beleuchtet und mit Vorhängen drapiert, flößten mir Unbehagen ein, aber meine Neugier war immer größer. So spähte ich in jede erdenkliche Ecke jedes Raumes, vom Dachboden bis zum Keller aus. Das war eindeutig nichts für schwache Nerven oder den durchschnittlichen Theaterbesucher, der es genießt, bequem aus seinem Plüschsessel ein Shakespeare-Stück zu sehen. Das hier war das pure Adrenalin. Ich war mir sicher, dass einige Leute nur darauf warteten, diesen Ort so schnell wie möglich wieder zu verlassen.
Die Nacht, oder vielleicht war es nur eine Illusion, verschwamm immer weiter. Ich jagte Schatten durch die Korridore nach und stolperte über geflüsterte Gespräche zwischen den Akteuren, aber die Grenzen zwischen Publikum und Teilnehmern lösten sich auf. Wir alle trieben in dieser geisterhaften Welt umher und versuchten, die Geschichte anhand von flüchtigen Blicken, geflüsterten Satzfragmenten und den gespenstischen Echos eines Walzers zusammenzusetzen.
Nachdem wir etwa anderthalb Stunden lang durch die verschiedenen Räume des Gebäudes geirrt waren, fühlte es sich langsam so an, als wären wir gefangen – wir konnten keinen Ausweg finden. Schließlich wurden wir von Schauspielern zu einer großen Tür geführt, wo das „große Finale“ mit einem großen „Vorhangfall“ auf uns wartete. Hinter dieser Türe war ein riesiger, makabrer Maskenball in vollem Gange und endlich konnten wir unsere Masken abnehmen, miteinander plaudern, etwas trinken und tanzen mit den mindestens 60 anderen Schauspielern.
Später wurde mir klar, als ich mich an die schwach beleuchtete Bibliothek, umgeben vom Duft alter Bücher und dem fernen Klang eines Klaviers erinnerte, was sich in dieser stillen Einsamkeit offenbarte. In genau diesem Moment entfaltete sich die wahre Genialität und Vision von Punchdrunk. Sie hatten nicht nur ein Stück geschaffen, sondern eine Welt – einen Ort, an dem jedes Detail und jede sinnliche Erfahrung akribisch gestaltet war, um den Besucher vollständig in die Erzählung einzutauchen, mitgerissen in die eine erlebte Geschichte.
Ich verließ diesen Ort in dem Wissen, etwas ganz Außergewöhnliches erlebt zu haben – war es eine Fantasie, ein Traum, gar ein fiebriger Albtraum und ein Spaziergang durch Zeit und Raum? Ich war nicht nur ein passiver Beobachter, sondern wurde kopfüber in die Geschichte geworfen, als williger (oder vielleicht leicht verwirrter) Teilnehmer in einer großartigen Aufführung. Zurück auf den Londoner Straßen fühlte es sich an, als wäre ich aus einem Fiebertraum erwacht. Es war das aufregendste Theatererlebnis, das ich je hatte.
Punchdrunk, die Theaterproduktionsfirma hinter diesem Erlebnis, verdient eine genauere Erklärung. Sie machen nichts halbherzig. Ihre Gründer, Felix Barrett und sein Team, träumten im Jahr 2000 von einem Theater, das sich nicht auf eine Bühne beschränken sollte. Inspiriert von historischen Nachstellungen und imaginativen Kinderspielen, stellten sie sich eine surreale Welt vor, in der die Zuschauer nicht nur einer Geschichte zusahen, sondern sie lebten, atmeten und selbst zu Charakteren der Geschichte wurden. Und so wurde Punchdrunk geboren.
Ihr außergewöhnlicher Erfolg liegt in diesem einzigartigen und innovativen Ansatz, der seinesgleichen sucht. Im Laufe der Jahre haben sie weit über 20 Stücke produziert, die auch in den USA – immer ausverkauft – gespielt wurden. Das Erlebnis bei jedem Punchdrunk-Stück ist wie eine andere Realität, ein Beweis für die Kraft des Geschichtenerzählens. Sie erinnern uns daran, dass die fesselndsten Geschichten oft diejenigen sind, die wir erleben, nicht nur beobachten. Vielleicht findet man sich beim Walzertanzen mit fremden Menschen in Masken wieder. Ist das nicht das, was die besten Geschichten tun? Sie lassen uns atemlos, ein wenig verwirrt und mit einer Wertschätzung für die immersive Kraft einer gut erzählten Geschichte zurück.
Mit ihrer bevorstehenden Show „Viola’s Room“ schlägt Punchdrunk eine neue Richtung ein. Dieses neue Stück markiert eine Abkehr von Punchdrunks berühmten Maskenshows und präsentiert eine linearere, intimere Erfahrung ohne Live-Besetzung. Angekündigt als „intime, sinnliche, labyrinthartige Reise, geleitet von Licht und Ton“, verspricht dies ein einzigartiges Erlebnis für jeweils nur sechs Zuschauer zu sein.
Diese neue Produktion, geschrieben von der für den Booker-Preis nominierten Daisy Johnson, stellt Barry Pains klassisches gotisches Geheimnis „The Moon-Slave“ neu vor. Die neue Show erzählt die Geschichte einer Prinzessin, die von einem alten Labyrinth angezogen wird und ihre Seele im Austausch für Musik dem Mond verkauft. Die Geschichte wird als „intimes, audiogetriebenes Abenteuer, das die Träume derjenigen durchdringen soll, die dem Licht folgen“, neu erzählt.
In Gruppen von bis zu sechs Personen gleichzeitig werden die Zuschauer eingeladen, ihre Schuhe auszuziehen, Kopfhörer aufzusetzen und sich durch eine labyrinthartige Installation zu fühlen, geleitet von einem unsichtbaren Erzähler.
Wenn Sie sich also in London nach einem Abenteuer sehnen, suchen Sie die neueste Show von Punchdrunk auf und tauchen Sie tief in das Kaninchenloch dieser Wunderwelt ein.